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Ein kurzer Exkurs über den Einsatz von Ausrufezeichen im Jahr 1970 und heute.

Nehmen wir uns eine Sekunde und betrachten wir das folgende Foto. Das Bild ist die Aufnahme eines Exponats der Ausstellung Schamlos im Bonner Haus der Geschichte, gefunden auf dem Twitterfeed des Museums. Es zeigt ein Foto von Lenelotte von Bothmer im Jahr 1970, der ersten Abgeordneten, die es wagte, im Bundestag Hose statt Rock zu tragen. Und daneben zwei der Schmähbriefe, die sie erhielt.

Der Auftritt führte in den prüden 70ern zu einem Skandal, es hagelte Zwischenrufe an Ort und Stelle, die Medien berichteten. Männliche Politiker von CDU und SPD wähnten die Würde der Frau, des Hohen Hauses oder gleich beides verletzt.

Interessanter ist aber die Tonalität der Briefeschreiber aus dem Volk:

„Armes Deutschland“ war auch damals in Schmähkreisen schon ein geflügeltes Wort; mit „Pfui“, „schamlos“, „würdelos“ ging es weiter. Auch auf der Schreibmaschine fand man Zeit, drei bis fünf Exklamationszeichen anzufügen. Auch damals war die Beschimpfung unter Klarnamen kein Problem für die Vertreter des gesunden Volksempfindens und der Mehrheitskultur. Auch damals gab es Leute, die sich selbst  so wichtig zu nehmen bereit waren, dass sie auch bei Dingen, die sie nicht direkt betrafen, lange Wege gingen, um wildfremden Menschen ihren Hass zu zeigen. Auch damals haben Leute alles für Anzeichen des bevorstehenden Untergang des Abendlandes gehalten, was von ihrem persönlichen Geschmack abwich.

Also: alles ganz wie heute. Inklusive der leicht wackeligen Rechtschreibung. Um es auf Bayrisch zu sagen: ‚S is ned Facebook, ’s san de leid.

Irgendwie finde ich das vage tröstlich. Es ging damals vorbei und ist in der Rückschau direkt lachhaft, vielleicht geht es auch heute vorbei.

Haters gonna hate.

P.S. Die Sache hat eine hübsche Vorgeschichte, denn der Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger (CSU) hatte im Kollegenkreis getönt, einer Frau in Hosen niemals den Zutritt zum Plenum geschweige denn eine Rede zu erlauben.  Darauf hin beschlossen die weiblichen Abgeordneten, parteiübergreifend, dass nun erst recht eine von ihnen in Hosen auftreten müsse. Die Wahl fiel, wohl auch wegen der schlanken Figur, auf Frau von Bothmer (SPD), die das dann auch tat, obwohl sie als sechsfache Mutter und bekennende Rockträgerin eigentlich nicht die Hardcore-Frauenrechtlerin war.

P.P.S. Was ansonsten damals in Deutschland nicht erwünscht war, weiß die Bildzeitung.

Photocredits:

Den Fotografen des Ausstellungsbilds konnte ich nicht ermitteln, daher ohne Credits. Veröffentlicht wurde es vom Haus der Geschichte hier.

Der Plenarsaal im Aufmacher stammt vom Bundesarchiv, B 145 Bild-F002349-0009 / Brodde / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons.

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